Ja, Kohl. Weißkohl.
Auf meinem Laptop sind jetzt so viele Fenster mit Rezepten, Ideen, angefangenen Texten usw. geöffnet das ich befürchte, er könnte jeden Moment abstürzen. Trotzdem kriege ich seit Tagen keinen Artikel fertig. Nach zwei Tagen intensiver Selbstreflexion („Was ist mit mir los…Bin ich etwa schon zu YIN geworden!? Es war doch bloß ne kleine Paprika…das bisschen Avocado…??“) habe ich das Denken gestoppt und bin ich zu den Schluss gekommen:
Nö. Das ist doch nicht meine Schuld wenn die Rezepte mich nicht wirklich anmachen! Früher oder später kommt schon wieder etwas was für Motivation und „sangre caliente“ sorgt!
Zuviel Nachdenken macht nämlich Falten und naja, was soll ich sagen; hier bin ich, es hat geklappt und es war der Weißkohl der mein Temperament wieder entfacht hat. Besser gesagt, wie er seit Jahren vollkommen unbegründet irgendwie vernachlässigt wird.
Aber nun von vorne:
Da liegt ein schwerer Stein auf meinem Herzen, ich lebe einen innerlichen Konflikt wenn ich meine Rezepte für deutsche Leser übersetzt beziehungsweise versuche, Alternativen zu finden. Frisches, lokales Gemüse ist nun mal meine große Liebe und die Quintessenz meiner Art zu kochen. Und eben auch mein größtes Problem, wenn ich in Deutschland bin. Nicht nur ist die Auswahl an frischem deutschem Gemüse beschränkt, es ist (für meine Verhältnisse) auch fast unbezahlbar. Und da rede ich noch nicht mal von Bio-Ware.
Stimmen in meinem Hirn sagen ständig das kann doch einfach nicht wahr sein! Was haben die Leute hier denn vor hunderten von Jahren gegessen?? Da muss es doch was geben, was lokal gedeiht, was die Leute vielleicht vergessen haben? Irgendwas Wildes? Wildgräser??
Dann wollte ich einen Text darüber schreiben wie und was man alles gratis so pflücken kann und essen kann, angelehnt an die vielen (süd-)italienischen Gerichte mit… Gras. Kein Witz; von zig Distel arten über Löwenzahn, junge Mohn triebe, Zucchinipflanzenstängel und (im Sommer) Kakteen blätter habe ich selber alles zubereitet und offensichtlich lebe ich noch.
Kurzer Anruf nach Deutschland: „Hier liegt Schnee. Vielleicht im Mai… und nachher vergiften sich die Leute!“
War also auch nix. Dann habe ich mich auf die Zucchini fixiert; wieso wird die eigentlich immer so „schlecht“ behandelt in der Makrobiotik? Das ist doch ein kleiner Kürbis?! Also alles zur Familie der Zucchini, Kürbisse und überhaupt recherchiert.
Um es ganz ganz kurz zu machen: wenn sie wirklich lokal und klimaneutral in (Nord-)Deutschland essen wollen; sorry aber dann gibt’s auch keinen Kürbis mehr!
Alle Kürbis arten haben ihren Ursprung in Mittel- beziehungsweise Südamerika. Der Winterkürbis kann noch am ehesten kühlere Temperaturen ertragen und stammt daher „nur“ aus Argentinien/Uruguay. Es ist und bleibt eine Pflanzengattung mit tropischem Ursprung.
Zurück also nach Deutschland. Traurig, aber real: es wachsen Kohl und Rüben arten, in der Saison auch einige Bohnensorten beziehungsweise Erbsen. Und bis vor ca. 50 Jahren wurde eben in der kurzen Erntezeit soviel wie möglich vom frischen Gemüse eingemacht.
Meinen (Ur)Großvätern war das Einmachen noch sehr wichtig, mein Vater musste auch als junger Erwachsener noch meinem Opa dabei helfen, wenn er zu Besuch kam. Aus lauter Nostalgie hat er also noch ein paar Gläser im Keller gelagert, Jahrgänge circa 1980. Ich konnte es nicht lassen meine Mutter zu schocken und habe sie geöffnet und gegessen. Einwandfrei. (Opa schwörte natürlich nur auf das Beste: Essigessenz auf irgendeiner Alkoholbasis)
Also wieder zurück zu den Gemüsen, die gut gedeihen und einigermaßen lagerfähig sind: Kohl und Rüben. Was die Rüben angeht ist die Möhre wohl die bekannteste und günstigste (ich liebe ja Steckrüben aber selbst die sind zu meinem großen Entsetzen nicht mehr aus Deutschland, Saisonware und überhaupt gar nicht soo gut zu lagern). Gleiches gilt für die ganzen tollen, bunten Rübchen: kosten meist so ab 3-4 Euro das Kilo aufwärts. Echte, nicht verwässerte Rettiche aus Deutschland? Ebenfalls schwer zu bekommen. Dasselbe gilt für frische Schwarzwurzeln.
Nun zum Kohl: Die ganze Zeit scheint ja zur Zeit Grünkohl zu lieben… Brokkoli… Blumenkohl, Rosenkohl hat ja auch ein „Comeback“ erlebt, vielleicht noch Chinakohl, in Deutschland Spitzkohl… aber diese großen, festen Weiß-oder Rotkohlköpfe? Gelten irgendwie fast als „unsexy“.
Besser so: Dann bleibt mehr für mich. Wenn ich den Kohl meines Lebens wählen müsste: es wäre stinknormaler Weißkohl.
Anspruchslos, bodenständig, preiswert, lagerfähig, immer bereit und was für ne längere Story (wenn äußere Blätter zu trocken werden ist sein Herz dennoch frisch!), extrem wandelbar und Weltenbürger (wie ich). Der perfekte Partner!
Spitzkohl und Chinakohl? Machen auf dicke Hose, aber fallen dann innerhalb von Minuten zusammen. Wasser teuer bezahlt.
Brokkoli? Liebe ich! ABER, der wächst auch schwer in Deutschland (kommt wie der Blumenkohl aus Kleinasien) ,zählt für mich als Luxusprodukt und nicht als tägliche Kost und vor allem… versteckt er sich einfach viel zu oft hinter einer unschönen Plastikhülle!
Blumenkohl? Ebenfalls: gedeiht kaum in Deutschland, muss im Gewächshaus gesäht werden und dann abgedeckt auf dem Feld, ist Starkzehrer und muss daher regelmäßig gedüngt werden,verdirbt schnell… naja und der Preis im Handel ist dann eben das Resultat.
Weißkohl ist mehr als Sauerkraut und Schmorkohl. Klein geschnitten und mit etwas Salz gedünstet wird er angenehm süß. Fein geraspelt und gepresst mit Umeboshi kann er ein schneller Ersatz für rohe, gepickelte Beilagen sein. Angebraten mit Sojasauce oder einfach klein geschnitten und gegrillt oder gebacken wird er wunderbar herzhaft. Er ist eine großartige Saucen-Grundlage für Getreide oder Nudeln: gedünsteten Kohl einfach mit etwas Nussmus (alle lecker) und Miso, Salz oder Sojasauce pürieren. Cremige Sauce dank Kohl; nix mit Sojasahne, Streich oder Tofu. Wer durch meine Rezepte stöbert wird sehen: Kohl ist in 70% der Fälle in meinen Saucen involviert.
Außerdem: er passt einfach zu allem: Kohl geht „mediterran/italienisch“ mit Rosmarin, Oregano, Thymian, Knoblauch, Oliven und Tomate (wer sie isst) , „asiatisch“ mit Sojasauce, Ingwer, Kreuzkümmel und Koriandersaat und eben auch „nordisch“ mit Dill, Senf… Machen Sie doch mal ein Steak aus Kohl : ganzen Kohl in Scheiben schneiden, 2-3 Minuten vor dünsten, mit Marinade nach Wahl bestreichen und im Ofen grillen. Ja und dazu mit den „hässlichen“ Abschnitten dann eben die Sauce!
Ich könnte Stunden so weitermachen. Wer genaue Rezepte möchte kann mir also einfach schreiben.
Dasselbe gilt übrigens für Möhren. Einziger Unterschied: Möhren gehen auch „richtig“ süß.
Damit dieser Text nicht zu lang wird werde ich einen weiteren Artikel über Möhrenrezepte schreiben und hier lediglich ein Rezept anführen:
Es sollten hier explizit ältere, dicke, eben nicht frische zarte und süße Möhren verwendet werden. Die Möhren dienen hier als süß-sauer-salzige Beilage auf einer griechischen Meze-Platte. In deutschen Breiten eignen sie sich aber auch perfekt als Beilage zu Buchweizen und/oder salzig gebratenem.
Süß-saure Möhren:
2 dicke, „hässliche“ Möhren (nicht die jungen, frischen mit Grün)
1 EL Shiro Miso (oder anderes Miso)
1 TL Genmai Su
1 Spritzer frischer Orangensaft (oder etwas getrockneter Abrieb)
ODER
1 EL eingeweichtes Trockenobst (Rosinen, Aprikosen..)
Prise Cumin
Optional: Zimt
Optional: frische Petersilie oder Koriander
Topf mit etwas Salzwasser zum Kochen bringen. Möhren ggf. schälen wenn die Möhren bereits sehr alt sind. Wichtig: die Möhren sollen nicht zu weich werden; also: Möhren nur grob zerteilen (ein- oder zweimal in der Mitte genügt) und im kochenden Wasser 2-3 Minuten blanchieren. Danach aus dem Wasser heben, kurz auskühlen lassen und in Halbmonde oder Stifte schneiden. Man kann die Möhren natürlich auch vorher bereits klein schneiden, sollte sie dann aber über Wasserdampf garen und nicht direkt ins Wasser geben!
Aus allen weiteren Zutaten ein „Dressing“ zusammenrühren, über die Möhren geben, fertig. Wer hat, kann noch etwas frische Kräuter dazugeben.
Himmlisch zu: Buchweizen, salzig gebratenen Gerichten mit Sojasauce oder eben „paniertem“
Von Nora Schubring